Wertvolle Geige lag 30 Jahre im Dornröschenschlaf

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Zufallsfund in der Westfälischen Schule für Musik / Violine von 1885 wird nun wieder gespielt / Instrumentenwart sichtet riesigen Fundus / Serie: Corona legt nicht alles lahm

Infektionszahlen auswerten, an Hygienekonzepten feilen, im Home-Office durchhalten – so könnte man sich den Arbeitsalltag vieler Beschäftigten der Stadtverwaltung Münster in diesen Monaten vorstellen. Doch das trifft nur zum Teil zu. Trotz Krisenmodus treiben alle Dezernate Projekte voran, die in die Zukunft weisen und von Corona nicht ausgebremst werden. In einer Serie geben wir Einblick. Zum Auftakt geht es um einen unerwarteten Fund, der in der Westfälischen Schule für Musik auftauchte.

Es sollte eine ziemlich alltägliche Aufgabe werden für den Geigenbauer Matthias Thönniß: Einen ganzen Schwung durchschnittlicher Violinen, die schon lange in der Bibliothek der Westfälischen Schule für Musik lagerten, wieder einsatzbereit machen für Musikschüler. „Aber als unser Geigenbauer einen der Instrumentenkästen öffnete, wurde er auf einmal ganz unruhig“, erinnert sich Thorsten Bönning, Instrumentenwart und Bibliothekar der Musikschule an der Himmelreichallee, an diesen besonderen Moment. Zum Vorschein kam, geschützt von einem mit Blüten bestickten Tuch, eine wertvolle historische Violine. „Das hat der Experte sofort gesehen, am Lack, am Farbton, an den Details der Konstruktion“, sagt Bönning. Er war damals gerade zwei Monate im Amt und damit beauftragt, den riesigen Fundus der Musikschule zu sortieren.

Der Zufallsfund war im Spätsommer 2019, aber erst vor wenigen Wochen ist die Geige wieder zurückgekehrt aus der Bochumer Werkstatt von Matthias Thönniß. Er hat all die anderen Alltagsgeigen wieder spielbereit gemacht – und recherchiert, was es auf sich hat mit dem einen edlen alten Instrument, das der Musikschule vermutlich vor etwa 30 Jahren geschenkt wurde. „Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine 1885 von Charles Jean Baptiste Collin-Mézin in Paris hergestellte Geige“, sagt Friedrun Vollmer, Leiterin der Westfälischen Schule für Musik. Collin-Mézin baute seine besten Instrumente zwischen 1875 und 1910, die Geige fällt also mitten in diese Periode. „Die Originalsignatur sowie eine Serienummer befinden sich auf der Innenseite des Bodens“, schreibt Geigenbauer Thönniß in seiner Beurteilung. Um ganz genau zu wissen, ob es sich bei der Violine nicht um eine Fälschung handelt, steht noch eine Zweitmeinung aus.

„Ich wecke die Geige jetzt wieder“

Berühmte Musiker wie Joseph Joachim und Jules Armingaud spielten seinerzeit auf Collin-Mézins Instrumenten und lobten deren Qualität. Dem kann sich Friedrun Vollmer mehr als 100 Jahre später nur anschließen. „Die Geige hat einen sehr weichen und vollen Klang, im Moment vor allem auf den unteren Saiten. Ich kann mir aber vorstellen, dass dieser Klang auch noch auf den oberen Saiten kommt, so ein silbriger Ton.“ Friedrun Vollmer ist die Erste, die wieder auf der Violine spielt, nachdem sie beim Geigenbauer neue Saiten und einen neuen Steg bekommen hat. „Ich wecke sie jetzt wieder, ich öffne sie“, sagt die Musikerin. Denn über Jahrzehnte ungenutzt im Kasten zu liegen, tue einem Instrument nicht gut. „Man muss darauf spielen, dann wird es besser. Sonst verliert es an Wert.“ Auf etwa 20 000 Euro wird die nach einem Stradivari-Modell gebaute Geige, die so lange im Dornröschenschlaf lag, geschätzt. Allerdings soll sie nicht verkauft werden. „Ich würde sie nicht jedem in die Hand drücken. Aber vielleicht kann ein talentierter Schüler sie einmal im Rahmen eines Stipendiums nutzen“, sagt die Schulleiterin.

Auch zwei weitere besonders wohlklingende Instrumente lagen in den großen Stapel von  Geigen, die nun als Leihinstrumente in den Musikunterricht gehen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Thorsten Bönning in Zukunft weitere interessante Funde macht. Denn seine Aufgabe ist zurzeit, Unmengen von Noten und Instrumenten zu sichten, zu ordnen und zum Teil auch in die Software der Bibliothek einzutragen. Zahlreiche Kartons mit Blättern und Heften stehen allein dort. Mehr als 40 weitere Kisten lagern momentan im Stadtarchiv. „Und aus Brandschutzgründen muss auch noch unser kompletter Dachboden leergeräumt werden“, sagt der Bibliothekar und Instrumentenwart und geht voran in die obere Etage der Musikschule. Ganze Schränke sind hier mit Noten gefüllt. „Einige stammen aus Zeiten, als unsere Schule noch Konservatorium war“, sagt Bönning. Flöten, Keyboards, Trommeln füllen einen Nebenraum – und ein Kontrabass mit dem Vermerk „Zum Streichen ungeeignet“. Bönning: „Wurde mal angeschafft, taugt aber nur für Jazz“.  Auch ihm fällt es – wie schon seinem Vorgänger – nicht ganz leicht, Dinge wegzuwerfen.  „Aber was wir doppelt und dreifach haben, sollten wir wirklich weitergeben“.

Musik-Campus als einzigartiges Projekt

Dennoch: Ist irgendwann alles einsortiert, was den Bestand bereichert, wird die kleine Bibliothek der Musikschule aus allen Nähten platzen. „Ich hoffe auf den Musik-Campus, dann könnte man die Bibliotheken zusammenlegen“, spricht Bönning den Plan an, Musikschule, Musikhochschule und Sinfonieorchester künftig an der Hittorfstraße  zu vereinen – als Ort, an dem vom Musikschüler über den Konzertbesucher bis hin zum Orchesterprofi jeder Musik erklingen lassen und erleben kann. Die Hoffnung auf den neuen Standort ist trotz der Krise berechtigt, sagt Cornelia Wilkens, Kulturdezernentin der Stadt Münster. „Natürlich wissen wir nicht, wie die wirtschaftliche Lage der Stadt nach der Corona-Pandemie aussehen wird. Aber das heißt nicht, dass wir den Musik-Campus ad acta legen.“ Alle drei musikalischen Institutionen hätten schließlich erheblichen Investitionsbedarf. Zurzeit gehe deshalb die Konkretisierung des Musik-Campus voran: Das Nutzungsmodell werde weiterentwickelt, der Ort Hittorfstraße genauer untersucht, nicht zuletzt würden Betreibermodelle entwickelt und Fördermöglichkeiten eruiert. Wilkens: „Gemeinsam mit der Universität als Partner sowie Bund und Land als Förderer kann in Münster ein einzigartiges Projekt entstehen.“

(Serie wird fortgesetzt)

„Ich wecke die Geige wieder, man muss sie spielen“, sagt Musikschuldirektorin Friedrun Vollmer. Instrumentenwart und Musikschulbibliothekar Thorsten Bönning wird den Augenblick des kostbaren Zufallsfundes so schnell nicht vergessen. Foto: Presseamt Münster

Quelle: Stadt Münster

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